Die Gründung

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Zehn Jahre waren seit dem Beginn der Planungen vergangen, als die "Evangelische Landesschule zur Pforte" am 1.5.1968 feierlich eröffnet wurde. Der Festakt fand in der Turnhalle statt - eine Aula gab es nicht. Weite Teile der gesamten Anlage waren erst im Rohbau fertig.

 

Anläßlich dieser Feier stiftete der damalige Leiter des Schulkollegiums Münster und Altpförtner F. Bruns die Amtskette des Rektors der Ev. Landesschule zur Pforte, die dem ersten Rektor, Dr. Chr. Hartlich, von dem damaligen Vizepräsidenten der EKvW, D. J. Thimme, mit den folgenden Worten überreicht wurde:

Im Namen der Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen, des Schulträgers dieser heute ihren Dienst eröffnenden Einrichtung übernehme ich diese Kette als Zeichen des Kettenschlusses der Generation von gestern über heute auf morgen zu, strahlend im Silberglanz. der auf Hoffnung weist, und geschmückt mit der Münze. die an die Geschichte erinnert. Ich übernehme diese Kette und überreiche Sie Ihnen, dem Rektor dieser Schule. damit Sie sie tragen mögen als ein Zeichen der Hürde und der dienenden Verantwortung an den Menschen, die hier aus- und eingehen. (NP. 11(1988). S.18)

Dieser Tag markierte den vorläufigen Abschluß langwieriger Planungen, Überlegungen und Mühen der "Generation von gestern" und den Beginn des Engagements einer neuen Generation "über heute auf morgen zu".

Aber er verdeutlichte gleichzeitig symbolhaft: Die Landesschule war noch nicht fertig, war noch ein Provisorium.

Die Feierlichkeit der Eröffnung wich bald der rauhen Wirklichkeit des Alltags.

Die ersten Schüler, 24 an der Zahl, waren bereits bei der Eröffnung zugegen. Da das Schulgebäude noch nicht fertiggestellt war, wurden diese Schüler der Klassen UII und 0II, die in den nachfolgenden Jahren die Präfekten stellen sollten, zunächst in den Wohnräumen des Internatsgebäudes II unterrichtet; die Gänge zwischen den Gebäuden waren offen, Regen und Wind hatten ungehindert Zutritt.

Aber - ein Anfang war gemacht.

„Die neue Generation übernahm eine Aufgabe, an deren vorbereitender Planung und Gestaltung sie kaum Anteil gehabt hatte, mit der sie sich aber identifizieren konnte. Eine Idee, ein Rahmen war vorgegeben, den sie in widriger Zeit umsetzen und mit Leben erfüllen sollte.“

Der erste Rektor der Landesschule umschrieb diesen Rahmen in einer Rede anläßlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Altpförtner Dr. W. Lauer, einen engagierten Freund, dem die Landesschule großen Dank schuldet. Die Aufgabe, eine bestmögliche Erziehung und Bildung zu ermöglichen, sollte sich in den folgenden Essentials dokumentieren:

  1. Die Schule soll junge Begabungen fördern und fordern, soll auf geistige Leistung achten...
  2. Der Zugang zur Schule soll Jungen aus allen Schichten offen stehen, auch und gerade aus den sozial benachteiligten und unterprivilegierten Schichten.
  3. Unterricht und Erziehung, ins tructio und educatio, sollen möglichst eine Einheit bilden. Dies geschieht am besten in einem gemeinsamen Leben, also in einer Internatsschule.
  4. An der Gestaltung des gemeinsamen Lebens sollen die Jungen, soweit irgend vertretbar, mitbeteiligt werden, vor allem in der Form, daß sie Verantwortungen und 4mter im Dienst der Gemeinschaft übernehmen.
  5. Die Tätigkeit der Lehrer soll sich nicht nur auf den qualifizierten Unterricht beschränken. sondern sie sollen zugleich als Erzieher wirken... Im Unterschied also zu anderen Internatsschulen, in denen eine Trennung von Unterrichtenden und Erziehern vollzogen ist. soll auch hier eine personale Einheit bestehen.
  6. Die personale Begegnung zwischen Lehrer und Schüler soll weiter dadurch ermöglicht werden, daß jeder Lehrer als Tutor die Betreuung einer kleinen Gruppe übernimmt.
  7. Die Schule soll beständig bemüht sein, den Hiat, der im 19. Jahrhundert zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften eingetreten ist, zu überwinden.
  8. Die Schule lebt aus dem Geist der Reformation. Die Auseinandersetzung mit dem Christentum soll ein unersetzliches Element der Bildung an dieser Schule sein. (13.8.1972. In: NP. 1(1973). S.21)

Die Landesschule hatte es nicht leicht, als sie ihre ersten vorsichtigen tastenden Schritte ins Leben tat. Sie mußte in dem Dreieck traditioneller Anspruch - evangelische Orientierung -pädagogische Wirklichkeit ihren Standpunkt, ihre Identität finden.

 

 

Gegenwind

Der Wind der politischen und damit auch der bildungspolitischen Landschaft blies der Schule mitten ins Gesicht. Begriffe wie Tradition, Leistung, Begabtenförderung u.a., unter denen die Landesschule antrat, standen in der Öffentlichkeit zur Diskussion und Disposition.

Revolutionäre Ereignisse erschütterten die Universitäten und die bundesrepublikanische Gesellschaft (s. Studentenrevolte 1968). Die Forderung nach "mehr Demokratie", nach einer "Demokratisierung der Institutionen" und nach dem "Abbau hierarchischer Strukturen" beherrschte die politische Diskussion.

Dem Ruf nach mehr Demokratie entsprach im pädagogischen Bereich der Ruf nach "Emanzipation", nach "antiautoritärer Erziehung". Dieser Begriff hatte durch das Buch Erziehung in Summerhill: das revolutionäre Beispiel einer neuen Schule. (1965) des Engländers A.S. Neill weite Verbreitung erlangt.

In diese Auseinandersetzung eingebunden war eine intensive pädagogische Diskussion zur inhaltlichen Neubestimmung der Begriffe "Begabung"," Lernen" und "Leistung".

Und: jene bildungspolitische Diskussion, die durch Georg Pichts Kassandraruf von der "deutschen Bildungskatastrophe" (1964) ausgelöst worden war, zeigte erste konkrete Ergebnisse in der Proklamierung notwendiger Reformen des westdeutschen Bildungssystems, vor allem des Gymnasiums (kooperative, additive oder integrierte Systeme; Gesamtschule).

Nicht nur diesen Herausforderungen mußte sich die junge Landesschule stellen. Hinzu trat noch manches Etikett, das man ihr anheftete, und gegen das sie sich wehren mußte. Das Wort von der "Eliteschule" war eines dieser Etikette und ganz und gar nicht hilfreich für das Bemühen, in der bundesrepublikanischen Gesellschaft einen angemessenen Platz zu finden. Zwar hatten sich die Gründer der Landesschule darauf verständigt, daß

Begriff und Leitbild einer Eliteschule, wie er mit allen belastenden Begleiterscheinungen den alten Fürstenschulen teilweise angehaftet hatte, außer Betracht gelassen und im Gegenteil ausdrücklich abgewehrt werden sollte, (D. Thimme. 10 Jahre Landesschule. In: NP. 4(1978). 5. 3)

- ohne damit "Leistung" diskreditieren zu wollen - aber es scheint, daß sich nicht alle Betroffenen an diese Absprache gehalten haben.

Zudem blieb es nicht verborgen, daß auch innerhalb der Synode der EKvW nicht geringe Widerstände gegen die Gründung einer Schule solchen Zuschnitts zu jenem Zeitpunkt bestanden hatten und weiterhin bestanden.

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